Der Dichter als Theologe – Lessing im Prisma der Aufklärung (Friedrich Vollhardt)
Kategorie: Archiv
Di., 7. Juli, 19:30 Uhr im Lambertus-Saal
Der Vortrag versucht, einen genauen Einblick in Lessings religionsphilosophische Schriften der Wolfenbütteler Jahre zu geben − bis hin zu Nathan dem Weisen und den mit F. H. Jacobi geführten Spinoza-Gesprächen.
So sind seine späten, oft Fragment gebliebenen religionsphilosophischen Skizzen nicht nur geprägt von der Frage nach der Stellung zu anderen Konfessionen und Religionen. Sie stehen auch im engen Zusammenhang mit seiner Schriftkritik und den Überlegungen zur eigenen, protestantischen Tradition. Lessing geht es um die historisch-philologische Prüfung der immer wieder angeführten Schriftbeweise und die Zurückweisung einer nur angemaßten theologischen Autorität, besonders auf der Seite der „neuen Reformatoren“, den Neologen. In den Augen Lessings ging der Versuch, die Theologe nach rationalen Grundsätzen einzurichten – also dem Zeitgeist anzupassen -, mit der Beseitigung einer älteren Tradition einher, bei der sich die Reformpartei in einer überlegenen und unangreifbaren („intoleranten“) Position zu wissen glaubte, ohne die Vorläufigkeit des eigenen Standpunktes (als einer Tradition unter anderen) zu bedenken.
Für den religiösen Skeptiker kann die Vernunft jedoch in diesem Verdrängungswettbewerb auch nicht den letzten Maßstab bilden, da sie selbst − anders als der Rationalismus des 17. und frühen 18. Jahrhunderts bis hin zu Reimarus annahm – dem geschichtlichen Wandel, einer Dynamisierung und Temporalisierung, unterworfen war. Die Fragmente sollten die neuen Reformatoren zu einer Antwort auf diese ins Grundsätzliche unseres Erkenntnisvermögens führende Frage herausfordern. Lessings Kritik an den verschiedenen Traditionen zielte zuletzt auf eine Haltung des sinnvollen Zweifels an allen dogmatischen Gewissheiten.
Friedrich Vollhardt ist Ordinarius am Institut für Deutsche Philologie der Ludwig-Maximilians-Universität München. Dort promovierte er 1984 über „Hermann Brochs geschichtliche Stellung”; anschließend war er wissenschaftlicher Assistent an der Universität Hamburg und habilitierte sich 1992.
Vollhardt ist Betreuer des Internationalen Doktoranden-Kollegs „Textualität der Vormoderne“ des Elitenetzwerks Bayern und Mitherausgeber des Reallexikons der deutschen Literaturwissenschaft. U.a. gab er zuletzt heraus: „G.E. Lessing: Laokoon oder über die Grenzen der Malerei und Poesie” (Stuttgart 2012), „Religiöser Nonkonformismus und frühneuzeitliche Gelehrtenkultur” (Berlin 2014) oder die Festschrift für Dieter Henrich „Hölderlin in der Moderne” (Berlin 2014).