Die Schuldfrage zwischen Philosophie und Malerei – Karl Jaspers und Werner Tübke zur geistigen Situation in Deutschland (Matthias Bormuth, Eduard Beaucamp)
Kategorie: Aktuelles // Allgemein
Do., 23. Februar 2023, 19:30 Uhr
Karl Jaspers hielt 1945/46 die Heidelberger Vorlesungen „Zur geistigen Situation in Deutschland“. Sie erschienen bald unter dem Titel Die Schuldfrage. Die Argumentation war ungewöhnlich, da der Existenzphilosoph die moralische Dimension der nationalsozialistischen Verbrechen kollektiv zur Sprache brachte. In der Zeitschrift Die Wandlung versuchte er als Herausgeber den Prozess der Vergangenheitsbewältigung weiter zu befördern. Er förderte Beiträge von Hannah Arendt und Golo Mann, die im amerikanischen Exil den Holocaust überlebt hatten. Aber Resonanzen blieben weithin aus.
In der ehemaligen DDR war der Antifaschismus ganz anders ins staatliche Selbstverständnis verankert. So widmete sich rund zwei Jahrzehnte später der Leipziger Maler Werner Tübke dem Zyklus „Dr. jur. Schulze“. Die Gemälde setzen ikonographisch und stilistisch beeindruckend den juristisch mangelnden Umgang mit der jüngsten Vergangenheit in Szene. Angestoßen durch den Eichmann-Prozess in Jerusalem und den Auschwitz-Prozess in Frankfurt entfaltete Tübke um 1965 in zwölf Bildern und vielen Studien eine eindringliche Auseinandersetzung mit dem nationalsozialistischen Unrechtssystem und dem Holocaust und verbindet damit zugleich eine persönliche Gewissenserforschung. Dabei sprengte der Künstler mit Szenen der jüdischen Passion und Schilderungen bürgerlicher Ambivalenzen gekonnt den ideologischen Rahmen.
Das Gespräch zwischen dem Ideenhistoriker Matthias Bormuth und dem Kunstkritiker Eduard Beaucamp widmet sich den möglichen Zusammenhänge zwischen Jaspers und Tübke – auch am bildlichen Material – und erläutert auch die fragwürdigen Aspekte der Vergangenheitsbewältigung im deutsch-deutschen Horizont.
Matthias Bormuth ist Professor für Vergleichende Ideengeschichte am Institut für Philosophie; er leitet das Karl-Jaspers-Haus. Von Martin Warnke veröffentlichte er im Wallstein Verlag mehrere Auswahlbände seiner Essays: Schütteln Sie den Vasari… Kunsthistorische Profile (2017), Künstlerlegenden. Kritische Ansichten (2019) und Warburgs Schnecke (2020). Sein Buch Zur Situation der Couchecke – Martin Warnke in seiner Zeit erschien jüngst im Berenberg-Verlag.
Eduard Beaucamp (*1937) ist Kunstkritiker und Publizist. Nach dem Studium der Literaturgeschichte, Kunstgeschichte und Philosophie leitete er von 1966 bis zu seiner Pensionierung das Kunstressort im Feuilleton der FAZ. Veröffentlichungen u. a.: Werner Tübke: Mein Herz empfindet optisch. Aus den Tagebüchern, Skizzen und Notizen (Mithg., 2017); Im Spiegel der Geschichte. Die Leipziger Schule der Malerei (2017); Kunststücke. Ein Tanz mit dem Zeitgeist (2012); Der verstrickte Künstler (1998).