Erich Auerbachs verborgenes Judentum (Martin Vialon)
Kategorie: Archiv
Mo., 07. März, 19:30 Uhr
Figurale Deutung und europäische Kulturgeschichte im Exil.
Der Romanist und Kulturphilosoph Erich Auerbach (1892-1957) schrieb zwischen 1942 und 1945 im Istanbuler Exil sein Hauptwerk »Mimesis. Dargestellte Wirklichkeit in der europäischen Literatur«. Das Buch, 1946 erschienen, avancierte zu einem Klassiker der Geisteswissenschaften. Die großartige Eröffnung des Vergleichs zwischen der alttestamentlichen Opfergeschichte Isaaks und Odysseus‘ verschleierte Rückkehr nach Ithaka führt den Leser in die 3000-jährige Geschichte des abendländischen Realismus ein, die in 20 Kapiteln den Wandel in den stilistischen Höhenlagen des Schreibens und deren epische Mischformen bis zu Marcel Prousts Ästhetik der multipersonalen Erzählweise des stream of consciousness erklären.
Zur aktuellen Wirkungsgeschichte des Buches zählt, dass der amerikanische Philologe James I. Porter die literarisch-philosophischen Interpretationen Auerbachs als „Judaizing of Philology“ betrachtet. Diese Ansicht soll mit Auerbachs Übernahme der figuralen Deutungsmethodik christlicher Provenienz konfrontiert werden, deren Anfänge eng mit dem Wirken des Apostel Paulus verbunden sind. Auerbachs nicht leicht erkennbare, oft verborgene Treue zum Judentum lebte vielmehr als profane Erleuchtung in den Kunstwerken fort.
Diese Sicht will der Vortrag entlang des kulturphilosophischen Œuvres von Auerbach und in exemplarischen Briefen veranschaulichen, die der Romanist aus dem Exil an Freunde schrieb.
Die Veranstaltung ist eine Kooperation mit den Jüdischen Studien der Carl von Ossietzky Universität.
Prof. Dr. Martin Vialon, geb. 1960, ist seit Herbst 2014 wissenschaftlicher Mitarbeiter im Institut für Philosophie der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg und leitet das Erich Auerbach-Archiv. Nach seiner germanistischen Promotion in Marburg (1998) lehrte er als Dozent an der Yeditepe University in Istanbul, war von 2006 bis 2008 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Literatur- und Kulturforschung Berlin und habilitierte sich im Fach Philosophie (2011) in Oldenburg. Nach der 2012 erfolgten Istanbuler Berufung für die Fächer Komparatistik und Kulturphilosophie, war Vialon Karl Jaspers-Fellow (2013) in Oldenburg und kehrte im Anschluss aus der Türkei nach Deutschland zurück. Zahlreiche Veröffentlichungen zur europäischen Literatur und Philosophie sowie Vortragsreisen in die USA, die Türkei, nach Großbritannien, Ungarn, Israel und Russland.