Kann man sich selbst und andere Personen verstehen? (Wolfgang R. Köhler)

Kategorie: Archiv

Di., 12. April, 19:30 Uhr

Der Begriff des Verstehens einer Person als eines Individuums ist mehrdeutig – sei es der eigenen oder einer anderen. Er wird mal mit dem Anspruch eines Wissens, eines Könnens oder eines Fühlens gebraucht. Diese Mehrdeutigkeit betrifft nicht nur das Fremdverstehen, sondern auch das Selbstverstehen, die im übrigen wesentlich voneinander abhängen.

Das für das Fremdverstehen oft beanspruchte Sich-Hineinversetzen oder das Nachvollziehen sind ebenso wie die für das Selbstverstehen reklamierte Introspektion nur hilflose Metaphern. Sie müssen durch Interpretationen der Äußerungen der Person ersetzt werden, sofern das Verstehen ein Wissen sein soll, wobei nicht intuitiv, sondern diskursiv zu verfahren ist. Dagegen reicht es für ein Können aus, sich mit jemandem zu verstehen und für ein Fühlen, jemandem so oder so geneigt zu sein.

Das Verstehen im Sinne eines Wissens bildet im Alltag anscheinend eine Ausnahme und ist  nur für Psychoanalyse und historische Biographien essentiell. Auf beiden Gebieten ist eine poetische Urteilskraft für die Beschreibung von Individuen nötig. Dieses Erfordernis einer Kreativität steht einer wissenschaftlich-quantifizierenden Psychologie im Wege. Das hat Karl Jaspers ganz ähnlich gesehen.

Der Abend steht samt anschließender Diskussion unter der Leitung von Prof. Stefan Müllerkoehler-Doohm.

Wolfgang R. Köhler ist seit 1985 Geschäftsführer des „Forum für Philosophie“. Er ist in Philosophie habilitierter Privatdozent an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main.
Köhler hat verschiedene Werke publiziert, darunter u.a. »Ist der Geist berechenbar?« (Hrsg. mit H.-D. Mutschler, Darmstadt 2003) oder »Personenverstehen – Zur Hermeneutik der Individualität« (2004, Frankfurt/M.).