Vom Unheil des Erkennens. Hartmut Langes Poetik der Schwermut (Sebastian Kleinschmidt)
Kategorie: Archiv
Di., 28. März, 19:30 Uhr
Hartmut Lange zählt zu den bedeutendsten Novellisten der deutschensprachigen Gegenwartsliteratur. Im März begeht der in Berlin lebende Autor seinen 80. Geburtstag. Aus diesem Anlass erscheint bei Diogenes seine erste Novellensammlung „Über die Alpen“ in einer Neuausgabe.
Die Novellen erzählen von Nietzsches geistigem Zusammenbruch, vom Freitod Kleists, vom Ende des Nihilisten Alfred Seidel, von Franz Liszt und der Ermordung der Goebbels-Kinder, von einer toten Jüdin und ihrem Mörder. Was Lange hier an Stimmungen und Gedanken zur Sprache bringt, ist auch eigenen Erfahrungen geschuldet. Angst und Unheimlichkeit, Irritation und Verzweiflung, Wahnsinn und Tod sind keineswegs Phänomene, die ihm erst durch Lektüre bekannt geworden sind. Bei E.T.A. Hoffmann oder Edgar Allan Poe, bei Büchner oder Kafka, bei Kierkegaard oder Heidegger hat er sie nur wiedererkannt.
Lange gehört einer Generation an, in deren Kindheit der Krieg fiel, einer Altersgruppe, die alle Furchtsamkeiten dieser Welt erlebte, Zerstörung, Gewalt, Flucht, Verluste jeder Art. Nach Kriegsende herrschte im Osten Deutschlands der Stalinismus. Und der Westen, in den der Autor Mitte der sechziger Jahre floh, hielt auch einiges an negativen Erlebnissen für ihn bereit.
Obwohl in Langes Novellen nur die menschliche Existenz an sich dichterisch spürbar gemacht wird und die eigene Lebensgeschichte verborgen bleibt, ist sein Werk auf eine Weise autobiographisch geprägt, wie es bisher nicht kenntlich gemacht worden ist. Der Vortrag beleuchtet diese Zusammenhänge.
Dr. Sebastian Kleinschmidt, geboren 1948 in Schwerin, Herausgeber und Essayist, von 1991 bis 2013 Chefredakteur von Sinn und Form, lebt in Berlin. Jüngste Veröffentlichung: »Schmerz als Erlebnis und Erfahrung. Deutungen bei Ernst Jünger und Viktor von Weizsäcker.« Verlag Ulrich Keicher, Warmbronn 2016.