Von Jerusalem nach Athen und zurück. Das Verhältnis von biblischem Offenbarungsglauben und philosophischem Vernunftdenken bei Karl Jaspers und Martin Heidegger (Martina Roesner)
Kategorie: Archiv
Fr., 27. Nov., 18:00 Uhr
Die Geschichte des abendländischen Denkens ist wesentlich von der Begegnung zwischen griechischer Philosophie und biblischem Offenbarungsglauben gekennzeichnet. Zum einen hat sich die christliche Theologie bei ihrem Bestreben, die Glaubensinhalte gedanklich zu durchdringen, einer philosophischen Begrifflichkeit bedient, zum anderen haben bestimmte spezifisch biblisch-christliche Motive und Grundfragen, wie der Begriff der Person, des Gewissens, der Geschichtlichkeit, der Schöpfung, der Individualität und so weiter, in die Philosophie Eingang gefunden und sie in inhaltlicher Hinsicht bereichert.
Im frühen 20. Jahrhundert wird jedoch die historische Begegnung und wechselseitige Beeinflussung von Philosophie und Christentum sowohl von theologischer als auch von philosophischer Seite radikal in Frage gestellt. Karl Jaspers und Martin Heidegger stehen dabei in paradigmatischer Form für die unterschiedlichen Positionen, die seitens der Philosophie vertreten werden. Beide treten in ähnlicher Weise für die bleibende Eigenständigkeit der philosophischen Existenz gegenüber dem Offenbarungsglauben ein. Dennoch überwiegt bei Jaspers der Gedanke der wechselseitigen Ergänzung und des Aufeinander-Verwiesenseins von biblischem Glauben und philosophischem Vernunftdenken, während Heidegger sowohl die Hellenisierung des Christentums als auch das Einfließen biblischer Motive in das philosophische Denken als verhängnisvolle Fehlentwicklung brandmarkt.
Der Vortrag will die Positionen von Jaspers und Heidegger auf das ihnen zugrunde liegende Verständnis von Philosophie und Offenbarungsreligion untersuchen und sie für die aktuelle Debatte um das Verhältnis von Glauben und Vernunft fruchtbar machen.
Dr. Martina Roesner studierte Philosophie in Rom, Paris, Tübingen und Salzburg und promovierte 2001 an der Université Paris-Sorbonne (Paris-IV). Derzeit ist sie Leiterin eines FWF-Forschungsprojektes zu Meister Eckharts lateinischen Bibelkommentaren am Institut für Bibelwissenschaft (Altes Testament) der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien. Ihre Hauptforschungsgebiete sind Phänomenologie, Neukantianismus, Mittelalterliche und Neuzeitliche Philosophie, Philosophische Anthropologie und Religionsphilosophie.