„Warum ich in Marburg den Nathan inszenierte?“ Erwin Piscators Remigration in die junge Bundesrepublik (Michael Lahr)

Kategorie: Archiv

Di., 29. Januar, 19:30 Uhr

Mitten im 2. Weltkrieg war Erwin Piscator noch fest entschlossen, sofort nach dem Sturz des Nazi-Regimes aus New York in seine deutsche Heimat zurückzugehen und beim Wiederaufbau einer demokratischen Gesellschaft mitzuhelfen.
Nach 1945 zögerte er seine Rückkehr sechs Jahre lang hinaus, auch weil er die von ihm an der New School for Social Research gegründete und inzwischen florierende Theaterschule nicht im Stich lassen wollte. Schließlich erreichten auch ihn die Fänge McCarthys und dessen antikommunistischer Hexenjagd, so dass sich Piscator 1951 gezwungen sah, die USA Hals über Kopf zu verlassen.

In der Bundesrepublik fiel es dem Bühnenrevolutionär der Weimarer Republik schwer, wieder Fuß zu fassen. Dieses Schicksal teilte er mit vielen anderen Remigranten. Mit seiner frühen Inszenierung von Lessings „Nathan der Weise“ in seiner Heimatstadt Marburg versuchte Piscator, erste programmatische Akzente zu setzen in Richtung einer Aufarbeitung des Holocaust.

Der Vortrag zeigt auf, welche Erwartungen Piscator und mit ihm auch andere Remigranten in die Bundesrepublik setzten, welche Erfahrungen er dort sammelte, und wie er versuchte, sich im restaurativen Klima der 1950er Jahre in Westdeutschland neu zu positionieren, um schließlich in den 1960er Jahren mit seinem Dokumentar- und Bekenntnistheater erneut große Erfolge zu feiern.

Michael Lahr - photo Letizia MariottiMichael Lahr ist Programmdirektor von „Elysium – between two continents München – New York“ und Executive Director von „The Lahr von Leïtis Academy & Archive“. Er ist Herausgeber des Buches Der Erwin Piscator Preis und Co-Autor des Essay-Bandes Bilder des Menschen. Zuletzt erschien im Karl Jaspers-Jahrbuch 2016 sein Essay ›Theater ist alles und überall‹ über Erwin Piscators Arbeit im New Yorker Exil. Als Programmdirektor von Elysium hat er zahlreiche Werke von Künstlern ausgegraben, die vom Nazi-Regime verfolgt wurden, und – oft als Erstaufführungen – in Europa und den USA präsentiert.