Das Menschenbild der Anthropologischen Medizin. Viktor v. Weizsäcker und seine „Pathosophie“ (Sebastian Kleinschmidt)
Kategorie: Archiv
Mo., 14. Mai, 19:30 Uhr
Der Beitrag der anthropologischen Medizin zum Begriff des menschlichen Seins ist unverzichtbar. Denn wer den Menschen nicht in der Not kennt, nicht als Leidenden, nicht als Wesen in der Krise, der kennt ihn nicht. Und kennt auch nicht sein Glück, seine Freude und sein manchmal wie ein Geschenk erlebtes Ja zu sich und zur Welt. Nachzudenken über das, was wir Menschenbild nennen, ist immer geboten. Man weiß aus Erfahrung, dass historische Irrtümer und geschichtliche Sackgassen, von epochalen pädagogischen Verwirrungen nicht zu reden, ihre Ursache oft genug in einer Verkennung des Menschen haben. Und dabei sollte man auch nicht vergessen, wie begabt er ist, sich selbst zu betrügen.
Es liegt im Begriff der von Viktor von Weizsäcker begründeten medizinischen Anthropologie, dass in ihr nicht nur eine Krankheitslehre niedergelegt ist, sondern auch eine Menschenkunde. Allerdings eine Kunde aus besonderer Sicht. Es ist die Sicht des Helfers und Heilers, des philosophischen Arztes. Die Sicht eines hellhörigen, hellsichtigen Forschers, der weiß, dass die Wirklichkeit dessen, was wir erkennen, was wir verstehen, erklären und begreifen wollen, verborgen ist. Verborgen vor uns, vor anderen und vor sich selbst. Erschließen lässt sie sich nur im Umgang, in der vertrauensvollen Gegenseitigkeit von Arzt und Krankem.
Dr. Sebastian Kleinschmidt, geboren 1948 in Schwerin, Herausgeber und Essayist, von 1991 bis 2013 Chefredakteur von Sinn und Form, lebt in Berlin. Jüngste Veröffentlichung: »Schmerz als Erlebnis und Erfahrung. Deutungen bei Ernst Jünger und Viktor von Weizsäcker« (Warmbronn 2016). Gemeinsam mit Matthias Weichelt gab er außerdem zuletzt heraus: »Dieter Janz, Nebensachen. Ansichten eines Arztes« (Berlin 2017).