Lew Nussimbaum, alias Essad Bey: Kosmopolit – Jüdischer Moslem – Orientalist im Exil (Michael Lahr und Gregorij H. von Leïtis)
Kategorie: Archiv
Di., 3. Sept., 19:30 Uhr
In seinem kurzen Leben kam der Schriftsteller Lew Nussimbaum (1905–1942) mit allen Strömungen des frühen 20. Jahrhunderts in Berührung: Kommunismus, Faschismus und Nationalsozialismus.
Geboren wurde Essad Bey am 20. Oktober 1905 in Kiew als Lew Nussimbaum, einziger Sohn eines reichen, in Aserbaidschan ansässigen jüdischen Öl-Magnaten. Als 1918 der russische Bürgerkrieg in Folge der Oktoberrevolution auch Baku erfaßt, fliehen Vater und Sohn über Persien weiter nach Berlin. Dort konvertierte Nussimbaum 1922 vom Judentum zum Islam und ändert seinen Namen in Essad Bey. In der Berliner Literaturszene lernt er Elske Lasker-Schüler, Vladimir Nabokov und Boris Pasternak kennen und beginnt schon bald zu schreiben, vor allem für „Die literarische Welt“ von Willy Haas. Sein erstes Buch »Öl und Blut im Orient«, eine zwischen Fakt und Fiktion changierende stilisierte Rekonstruktion seiner Kindheit und Flucht erschien 1929 und wurde sogleich zum Bestseller.
In rascher Folge veröffentlicht er dreizehn weitere Bücher, unter anderem eine bis heute anerkannte Biographie des Propheten Mohammed, sowie Biographien zu Stalin, Lenin und Nikolaus II. Während die einen ihn als ausgewiesenen Orient-Kenner wertschätzen, enttarnen und verleumden ihn andere bald als jüdischen Geschichtsschwindler. Die islamische Gemeinde in Berlin geht auf Distanz zu ihm. Die Kommunisten weisen seine die Sowjetunion kritisierenden Werke als undialektisch und reaktionär zurück.
Vor den Nazis flieht er nach Wien. Als auch Wien nach dem „Anschluß“ für den enttarnten Essad Bey keinen Schutz mehr bietet, reist er über die Schweiz nach Italien, wo er 1942 in Positano an einer seltenen Krankheit stirbt.
Nach einer Einführung von Michael Lahr liest Gregorij H. von Leitis aus dem fantastischen Werk von Lew Nussimbaum.
Michael Lahr ist Programmdirektor von „Elysium – between two continents München – New York“ und Executive Director von „The Lahr von Leïtis Academy & Archive“. Er ist Herausgeber des Buches Der Erwin Piscator Preis und Co-Autor des Essay-Bandes Bilder des Menschen. Zuletzt erschien im Karl Jaspers-Jahrbuch 2016 sein Essay ›Theater ist alles und überall‹ über Erwin Piscators Arbeit im New Yorker Exil. Als Programmdirektor von Elysium hat er zahlreiche Werke von Künstlern ausgegraben, die vom Nazi-Regime verfolgt wurden, und – oft als Erstaufführungen – in Europa und den USA präsentiert.
Gregorij H. von Leïtis ist Gründer und Intendant von „Elysium“ sowie Mitgründer und Präsident von „The Lahr von Leïtis Academy & Archive“. 1985 gründete er die „Erwin Piscator Award Society“, welche jährlich den Erwin Piscator Award vergibt. Er arbeitet seit über 40 Jahren an unterschiedlichen Theatern in Europa und den USA und war u.a. Gastregisseur an den Landestheatern Linz und Bregenz. Für seine Verdienste um die Förderung der Völkerverständigung mit den Mitteln der Kunst wurde ihm 2003 das Bundesverdienstkreuz und 2016 das Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst verliehen.