Subjektivität – ein komplexes Problem. Überlegungen im Ausgang von Dieter Henrich (Prof. Dr. Manfred Frank)

Kategorie: Aktuelles // Allgemein

Mo., 22. Mai 2023, 19:30 Uhr

Neben Jürgen Habermas und Ernst Tugendhat gehört Dieter Henrich,  der im Dezember 2022 starb, zu den großen Gestalten der deutschen Nachkriegsphilosophie. In den 1960er Jahren, als Henrich in Berlin und Heidelberg erste Professuren bekleidete, war die philosophische Landschaft geprägt von gegenläufigen Tendenzen, die gleichermaßen kritisch zur Subjektivität standen. Einmal sah Martin Heidegger in seinem selbst bewussten Subjekt den Fluchtpunkt moderner „Seinsverdrängung“. Die Vertreter der „Sprachanalyse“ waren nicht minder subjektfeindlich eingestellt. Nicht das Subjekt sahen sie als ultimativen Lichtspender in Sachen Wissen, sondern die Sprache als das Medium, in dem Geltungsansprüche zu verhandeln seien.

In dieser ideengeschichtlichen Konstellation trat Dieter Henrich beiden Richtungen mit einem ganz neu gewendeten Argument aus den Beständen der überwunden geglaubten klassischen deutschen Philosophie entgegen. Für ihn war das – recht verstandene – „subjektphilosophische Erbe“ in Wahrheit noch nicht abgegolten. In Publikationen von 1966 und 1970 wies er – teils im Austausch mit führenden Köpfen der aufkommenden ‚Philosophy of Mind‘ (Castañeda, Shoemaker, Chisholm, Nozick) – nach, dass wir Bewusstsein nicht erklären können als Ergebnis einer höhenstufigen Rückwendung auf einen mentalen Zustand erster Stufe.

1970 hatte Henrich vorgeschlagen, die Kenntnis, in der Bewusstsein von sich selbst besteht, als „relationslos“ zu begreifen – also nicht dem Typus „Repräsentation“ entsprechend. Später aber ist er zur Auffassung von der „wissenden Selbstbeziehung“ zurückgekehrt. Ich werde an der früheren Intuition festhalten, ohne die Motive für Henrichs Wende zu übersehen. Sartres Theorie des „präreflexiven Selbstbewusstseins“ scheint mir einen Ausweg zu weisen.

Manfred Frank war vor allem Professor für Philosophie an den Universitäten Genf und Tübingen. Seine Forschungen zu Literatur und Philosophie im Zeitalter von Idealismus und Romantik gehören zu den klassischen Studien. In seinem Werk sind vielfache sachliche und methodischen Überschneidungen mit Dieter Henrich im Blick auf die Theorie der Subjektivität und die ideengeschichtliche Konstallationsforschung (Tübingen und Jena um 1800) zu relevant. 

Nach seiner Tübinger Emeritierung lehrt Frank heute als ständiger Gastprofessor der Universität Bielefeld.